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Du bist neugierig, was ich schreibe, vielleicht sogar, wie ich schreibe? Hier ist eine Kostprobe aus einem noch unveröffentlichten Roman. Ich freue mich über deine Meinung, wie sie dir gefallen hat.

Sie begrüßt die Teilnehmer, die sie noch nicht gesehen hat, unterhält sich mit den Moderatoren, schäkert mit den bekannten Gegnern und tauscht Informationen mit den noch unbekannten aus, und irgendwann ertönt das Rauschen des Publikumsflusses, der sich seinen Weg sucht. Camée schlüpft durch die schmalen Gänge in den Club und mischt sich unter die Menschenmenge, atmet ihren Puls, schwingt in ihrem Rhythmus und umgibt sich mit ihrer Wärme. Sie erfühlt die Stimmung, die sich zu Beginn immer so sehr von der Stimmung im Finale unterscheidet, und sie saugt die Atmosphäre wie den Sauerstoff in ihre Lungen. Sie fühlt sich so leicht und so unbeschwert, und sie weiß, die Nervosität wartet nur darauf, bis Nick und Benedikt die Bühne betreten und ihre Moderation beginnen. Dann schleicht sich das Zittern in ihre Hände, dann löst sich ihr Herzschlag vom Puls der Menge und schwebt in die Höhe, das Teufelchen und auch die Angst schweigen trotzdem, und Camée genießt diesen Zustand jedes Mal aufs Neue.
Ein junger Mann aus dem Publikum berührt sie an der Schulter, lächelt und spricht fragend ihren Namen aus, und Camée erwidert sein Lächeln, schreibt ihren Namen auf seine Eintrittskarte und seinen Unterarm, und er freut sich so darüber, dass das Glück auch auf Camée überschwappt. Sie lässt seine Umarmung zu, verabschiedet sich und bemerkt die neugierigen Blicke der Umstehenden, die sie entweder nicht kennen, oder nicht den Mut haben, sie anzusprechen. Den haben die wenigsten, nicht vor Beginn, oft hört sie die Leute tuscheln, hört die geflüsterte Frage: »Ist sie das?«, und die unsichere Antwort: »Ich glaube schon.« Camée überlegt sich jedes Mal wieder, ob sie sich einmischen soll, aber vermutlich wäre das zu plump, denn was sollten die Menschen dann sagen, so völlig unvorbereitet, und vielleicht würden genau diese zu den Leuten gehören, die ihre Texte nicht mögen, denn die gibt es auch, da macht sich Camée nichts vor. Menschen, die nicht berührt werden wollen, und solche, die nicht berührt werden können, die Tiefe nicht kennen und wegen der anderen, den lustigen Slammern, herkommen, oder solche, die jedes Mal aufs Neue nur hier sind, weil sie von ihren Partnern dazu gezwungen werden, sie zu begleiten.
Camée lässt sich durch die Wogen treiben, kauft sich im Vorbeifließen an der Bar noch eine Cola und schlüpft wie ein übermütiger Tropfen in die Gänge des Backstagebereiches zurück. Die anderen Teilnehmer sitzen zusammen oder allein, tigern hin und her und einer raucht draußen auf dem Podest der Fluchttreppe noch eine Zigarette. Nick nippt an einem Glas Wein und Benedikt hält wie immer seine Bierflasche fest, sie unterhalten sich, bis ein Angestellter des Clubs auftaucht und hektisch auf sie einredet. Camée sieht durch die Tür auf die Bühne, betrachtet das Menschenmeer, sucht mit ihrem Blick ihre Freunde und ihre Familie und lehnt sich zufrieden an den Türrahmen.
Die Zeit läuft dem Beginn des Poetry Slams entgegen, der Club füllt sich und schon bald sind fast alle Plätze besetzt. Benedikt testet das Mikro, wirft ein paar Worte in das Meer vor der Bühne, die dankbar und freudig aufgefangen und als andere Worte wieder zurückgeworfen werden, und dann ist es so weit, die Lichter scheinen auf, das Meer wird still und Nick und Benedikt erobern die Bühne, richten alle Aufmerksamkeit auf sich. Sie erklären die Regeln, sie sind ein Team, ihre Unterhaltungen sind kleine Choreografien, unterbrochen von Improvisation, sind niemals gleich und immer garantierte Stimmungsmacher. Gemeinsam ermitteln sie die Stärke des Applauses von Abfällig bis Tosend und mit diesem tosenden Applaus tritt der erste Teilnehmer an Camée vorbei auf die Bühne und stellt sich an das Mikrofon, sagt »Ha-llo« mit diesem typischen Singsang der Slammer, was ihm einige Lacher aus dem Publikum einbringt, und ein Lächeln auf Camées Gesicht zaubert. Sie ist gespannt, denn sie kennt ihn bisher nicht live, hat lediglich im Internet ein paar Videos von ihm angesehen, nachdem das Line-Up für diesen Abend feststand. Er ist süß, seine Haare haben diesen angesagten, zerzausten Look, seine Augen erinnern an Bambi und Camée sieht ihm zu, wie er ins Publikum lächelt, wie er sich einen Schritt vom Mikrofon entfernt und seine Worte seinen Mund verlassen. Sie sieht in die Gesichter der Menschen, sieht die Spannung und die Neugierde, und lässt den Text ihres Mitstreiters auf sich wirken. Er ist gut, er berührt sie, seine Stimme klingt toll, und nach seinem Hallo folgt nicht wie erwartet ein typischer Rhythmus, sondern Poesie, die die Sinne verwirrt und Lachen herzaubert, und als er endet, herrscht für einen Augenblick Stille im Raum, die der Applaus doch ganz rasch fortspült. Camée klatscht mit der Menge und schlingt spontan ihre Arme um den jungen Mann, der wieder an ihr vorbeigeht, fort von der Bühne. Sie spricht ihre Gedanken aus, lobt seinen Text, er hat sie berührt irgendwo ganz tief, und sie schluckt, und er dankt und bleibt bei ihr stehen. Die Moderatoren folgen ihrem Plan, stellen die nächste Slammerin vor, und ziehen sich zurück, als diese die Bühne betritt. Sie begrüßt das Publikum, beginnt ihren Text, und der junge Mann neben Camée beugt sich zu ihr herüber und flüstert: »Sie hat keine Chance heute.«

Aus Projekt C & M – bisher unveröffentlicht.